Wie aus gammeligem Getreidebrei das Brot entstand – Rund um den Sauerteig.
Ein Auszug aus einem Artikel, den ich 2007 in meinem Heftchen ‘Sempervirens’ veröffentlicht habe.
Die folgenden Angaben sind nach bestem Wissen und Gewissen zusammengetragen, jedoch gebe ich keine Garantie auf Richtigkeit, Verträglichkeit und/oder gesundheitliche Unbedenklichkeit der hier beschriebenen Prozeduren; das Nachmachen des Rezepts erfolgt auf eigene Gefahr!
Aus: Sempervirens – Ausgabe 7/2007
Diesmal befassen wir uns nicht mit Kräutern der Feld–, Wald– und Wiesenküche, sondern mit viel kleineren Lebewesen: Mit Bakterien und Pilzen. Da gibt es ein paar Arten, die uns – und das übrigens schon seit Jahrtausenden – bei der Herstellung eines unserer Grundnahrungsmittel, dem Brot, zur Hand gehen.
Natürlich besteht Brot nicht nur aus diesen Kleinstlebewesen. Die Früchte einiger höherer Pflanzen – vornehmlich Gräser – gehören auch mit in die Rezeptur – oder sollte man besser sagen: In die Kultur?
Die Ägypter haben’s entdeckt!
Tatsächlich, die Grundlage unseres heutigen Brotes haben die alten Ägypter vor vielleicht 5000 Jahren entdeckt: Den Sauerteig. Obwohl schon ca. 10000 Jahre vor unserer Zeitrechnung von Menschenhand Getreide angebaut wurde, sollte es noch 7000 Jahre dauern, bis das erste richtige Brot auf den Tisch kam.
Was ist eigentlich Sauerteig?
Genauso, wie es hin und wieder passiert, dass die Milch sauer wird oder der leckere Fruchtsaft anfängt zu gähren, funktioniert das Prinzip des Sauerteigs: Eine – in diesem Fall gewollte – Gährung von Getreidebrei. Ursächlich daran beteiligt sind Milchsäure produzierende Bakterien und Hefepilze. Diese Burschen (oder vielmehr ihre Sporen) lungern eigentlich überall herum – in der Luft, an Getreidekörnern und sogar im Mehl – und warten darauf, dass man ihnen etwas Leckeres zum Essen hinstellt. Lauwarmer Getreidebrei steht auf ihrem Speisezettel wohl ganz oben!
Im Laufe der Zeit hat der Mensch spezielle Stämme dieser Bakterien und Hefen gezüchtet, die die zur Brotherstellung besten Eigenschaften besitzen, wie z. B. die Bäcker– oder Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae). Aber mit den wild vorkommenden Arten funktioniert das Ganze auch ganz gut.
Das Getreide
Das braucht’s natürlich auch für das Brot – logisch! Die zwei heute am meisten verwendeten Getreidearten sind Weizen und Roggen.
Roggen
Roggen ist die wesentlich robustere Pflanze, was Kälte und Anfälligkeit für Krankheitserreger angeht. In der Antike wurden wohl die Germanen als Roggenkauer bezeichnet, während Römer und Griechen Roggen für Unkraut hielten und mehr auf Weizen standen. Allerdings, was den Nährstoffgehalt betrifft, steht Roggen vorne an.
Weizen
Weizen ist erst etwas später modern geworden – in unseren Breiten; wahrscheinlich erst, als widerstandsfähigere Sorten gezüchtet worden waren, die dem bei uns doch etwas kühleren Klima trotzen konnten. Weizen ist heute – neben Reis – die wichtigste Nahrungspflanze mit der weltweit größten Anbaufläche
Wie wird aus Getreidebrei ein Teig?
Ein Teig sollte drei Eigenschaften besitzen:
- Er sollte bindig sein, d. h. zusammenhaften und nicht gleich zerkrümeln.
- Er sollte locker, leicht und fluffig sein – schließlich möchte man die Energie, die man mit einer Scheibe Brot aufnimmt nicht durch die Anstrengung des Kauens gleich wieder verbrauchen.
- Er sollte (einen möglichst angenehmen) Geschmack besitzen.
Für 1. sind sogenannte Klebereiweiße verantwortlich. Beim Weizen werden diese Kleber durch andauerndes Kneten und Walken freigesetzt – man sollte sich dafür also Zeit nehmen. Beim Roggen liegen diese Klebereiweiße in anderer Form vor; Roggenteig muss also nicht so ausführlich geknetet werden. Allerdings schwirren in einem Roggenteig ein Haufen Enzyme herum, die diese Kleber zersetzen. Dazu ist dann das Sauer im Sauerteig da; Säure verhindert die Wirkung dieser Enzyme. Roggenbrei benötigt also eine Säure, damit ein Teig aus ihm wird.
In einem Natursauerteig erledigen das freundlicherweise die Milchsäurebakterien. An deren Stelle könnte man auch einfach Säure (Essig, Zitronensaft oder was auch immer) in den Teig kippen – so wie das heutzutage wohl die meisten Großbäckereien machen. Dieses Gemisch darf sogar – nach irgendwelchen Normen – noch Sauerteig genannt werden. Im Gegensatz dazu genießt jedoch der durch Bakterientätigkeit gesäuerte Teig das Privileg, die Bezeichnung Natursauerteig tragen zu dürfen.
Um die Fluffigkeit des Teiges bemühen sich die Hefepilze. Sie ernähren sich von Kohlehydraten und spalten diese in Kohlendioxid, Alkohol und auch ein wenig Wasser auf. Den Alkohol brauchen wir nicht – nein, es geht hier um Brot, nicht um Bier oder Wein –, er verflüchtigt sich beim Backen. Das Wasser fällt auch nicht weiter ins Gewicht, aber das Kohlendioxid, darauf sind wir scharf. Die Gasbläschen, die die Hefepilze absondern, lassen den Teig aufgehen und locker werden. Allerdings funktioniert das nur richtig, wenn Kriterium 1 – die Bindigkeit – erfüllt ist; die Gasbläschen sollen ja im Teig gefangen bleiben. Wenn der Teig porös und krümelig ist, kann das Kohlendioxid leicht entweichen.
Schließlich haben wir noch Geschmack und Aroma. Beides verdanken wir auch unseren kleinen Helfern, die dem Teig neben ihren Grundstoffen auch noch ein ihnen charakteristisches Aroma verleihen.
Jetzt haben wir schon fast alle Zutaten durchgekaut, fehlt nur noch eines: Etwas Salz. Zum einen ist es natürlich auch an der Geschmacksbildung beteiligt, zum anderen dient es als Konservierungsmittel – der Salzanteil im Brot verhindert, dass sich allzu schnell Schimmelpilze niederlassen.
Wie komme ich zu meinem Sauerteig?
Nichts einfacher als das: Du brauchst eine Falle, einen Köder, angenehme Temperaturen und ein wenig Geduld, dann kannst du dir ein paar dieser Bakterien– und Hefebürschchen fangen. Wenn du dann nett zu ihnen bist, machen sie den Brotteig für dich ganz von selbst!
Als Falle benutzt du eine (saubere) Tasse, als Köder einen nicht zu dünnflüssigen Brei aus lauwarmen Wasser (Es sollte evtl. einen Tag abstehen, damit sich das Chlor, das unserem Trinkwasser zugesetzt wird – Keimhemmende Wirkung! Wollen wir nicht! –, verflüchtigen kann) und Roggenvollkornmehl. Dieses Gemisch stellst du an einen warmen (ca. 30 Grad Celsius) Ort – z. B. auf die Heizung.
Nach 12 Stunden mixt du eine neue Tasse voll solchen Breis, entnimmst der alten einen Löffel voll und mischst ihn unter den neuen. Das Ganze wiederholst du etwa drei bis fünf Tage lang, dann sollte das Zeug Blasen werfen, blubbern und (angenehm) säuerlich riechen.
Das, was du da jetzt gezüchtet und kultiviert hast – man nennt es auch Anstellgut – kannst du benutzen, um einen Brotteig anzusetzen.
Und wie wird ein Brot daraus?
OK, hier ist mein Rezept, eines unter zahllosen anderen. Es ergibt ca. 3 kg Brot.
Die Zutaten:
- 1 Tasse Anstellgut
- 1 kg Roggenmehl Typ 997
- ca. 1 kg Roggenvollkornmehl
- 200 g dunkles Weizenmehl Typ 1050
- 1 EL Salz
- ca. 1,7 l Wasser
- evtl. 1 EL Brotgewürz (Koriander, Fenchel, Kümmel)
1. Tag, abends
In eine große Schüssel 300 g Roggenmehl Typ 997 sieben, mit lauwarmen Wasser (etwa 3/4 l) zu einem nicht zu dünnflüssigen Brei verrühren, eine Tasse Anstellgut gut untermischen. Teig zugedeckt (mit Küchentuch) warm stellen (ca. 30 Grad Celsius).
2. Tag, morgens
Weitere 300 g Roggenmehl Typ 997 und warmes Wasser (ca. 400 – 450 ml) unter den Brei vom Vorabend rühren, so dass wieder ein nicht zu dünnflüssiger Brei entsteht. Der Teig sollte – wie im Schritt zuvor auch – nach einer Weile anfangen zu blubbern, zu schäumen und säuerlich zu riechen. Wieder warm stellen.
2. Tag, abends
Schritte vom Morgen wiederholen.
3. Tag, Backtag
Zunächst füllst du eine Tasse voll deines Vorteigs ab, spannst etwas Frischhaltefolie darüber und stellst sie in den Kühlschrank. Das ist das Anstellgut für den nächsten Teig. Es hält sich im Kühli ca. drei bis vier Wochen.
Alternativ – oder zusätzlich – kannst du auch einen Löffel Vorteig mit so viel Roggenmehl mischen, dass kleine Krümel entstehen und das Ganze getrocknet in einem Stoffbeutelchen aufbewahren. Es nennt sich dann Krümelsauer und ist ungefähr ein Jahr haltbar. Um daraus wieder Anstellgut zu gewinnen, weichst du es einfach am 1. Tag morgens in lauwarmem Wasser ein.
Aber weiter: In die große Schüssel siebst du jetzt noch 100 g Roggenmehl Typ 997 (wenn du 1 kg Päckchen benutzt, müssten die noch übrig sein), 200 g (dunkles) Weizenmehl Typ 1050 und ca. 1 kg Roggenvollkornmehl. Dazu gibst du 1 EL Salz und evtl. etwas Kümmel, Fenchel und Koriander (zus. 1 EL) als Gewürz – das kannst du aber auch weglassen.
Das Ganze wird jetzt sorgfältig verknetet. Gib einen Teil des Roggenvollkornmehls erst nach und nach dazu, bis die richtige Konsistenz des Teiges erreicht ist. Sie sollte so sein, dass der Teig nicht mehr zerläuft, aber auch noch nicht zu fest ist. Er sollte fast noch etwas an Fingern und Arbeitfläche kleben. Jetzt Teig wieder in Schüssel, Tuch drüber und ca. 1 – 1,5 Stunden bei ca. 30 Grad Celsius gehen lassen.
Wenn der Teig sein Volumen verdoppelt hat, wird er nochmals gut durchgeknetet – alle Bläschen sollten rausgewalkt werden. Dann teilst du ihn in zwei bis drei Teile, formst Laibe daraus und legst diese auf ein mit Butter eingefettetes Backblech. Über die Laibe stäubst du noch etwas Mehl, bedeckst sie mit dem Tuch, stellst sie wieder warm und lässt sie weitere 1,5 h gähren. Diese letzte Teigruhe nennt man auch die Stückgare.
Danach – das Volumen sollte sich wieder verdoppelt haben – werden sie im vorgeheizten Backofen bei 230 – 250 Grad Celsius ca. 1 h und 15 min abgebacken. Bei diesen Temperaturen sterben übrigens die Bakterien und Hefen ab, du isst sie also später nicht mit! Die Brote sind fertig, sobald sie hohl klingen, wenn du mit dem Knöchel dagegenklopfst.
Nachdem du sie aus dem Ofen genommen hast, lege sie auf ein Backrost, damit sie ausdampfen können. Nach vier bis fünf Stunden kannst du schon mal probieren, aber bekömmlicher ist es, wenn du bis morgen wartest.
Auf jeden Fall: wirklich Lecker!!!
Noch ein paar Backtipps
Ein Schälchen Wasser, das während des Backens am Ofenboden steht, lässt durch den Dampf den Teig gut aufgehen.
Temperaturschwankungen sollte der Teig nicht ausgesetzt werden, um die Bakterien und Hefen nicht an ihrer Arbeit zu hindern.
Vorher angewärmte Zutaten beschleunigen den Gährvorgang.
Wenn der Teig bei der Stückgare zerläuft kannst du sogenannte Gährkörbe benutzen oder das Brot in Kastenformen backen.